Wut

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Das Holz, die Leber, die Wut – Überlegungen der Chinesischen Medizin

Liebe Leserinnen und Leser,

 

vielleicht kennen Sie Personen in Ihrem Lebensumfeld, die öfter gereizt reagieren. Vielleicht haben Sie selbst schon einmal die aufsteigende Wut in sich gespürt und sich später gefragt, wie eine Kleinigkeit Ihre Emotionen so in Wallungen bringen konnte.

 

Die Chinesische Medizin hat durch lange und akribische Beobachtungen einen Weg gefunden die Abläufe in der Natur und im menschlichen Körper zu beschreiben. Im Vordergrund stehen die gesunden, natürlichen Abläufe im Menschen. Aus Ihrem Verständnis ergeben sich dann Erklärungen für die Zustände, die wir als unangenehm, bis hin zu krankhaft bezeichnen. Im folgenden beschreiben ich einen Gedankengang der Chinesischen Medizin, der uns „inneren Druck“, Stimmungsschwankungen und die Entstehung der Wut erklärt.

 

Bei der Beschreibung von Abläufen in der Natur folgt die Chinesische Wissenschaft und Philosophie einem Prinzip, das wir Analogie nennen. Zwischen Dingen oder Ereignissen, die gleichzeitig eintreten, werden Verbindungen hergestellt. So wird zum Beispiel der Frühling mit der Farbe Grün und mit dem jungen Sproß der Sträucher und Bäume verbunden. Die Energie in dieser Zeit ist aufstrebend, voranschreitend. Mit der Kraft, die in den vorausgehenden ruhigen Monaten gesammelt wurde, wird nun Neues angepackt. Es ist die Zeit des Neuanfangs.

 

In der Sprache der Chinesischen Medizin sagen wir ganz verkürzt „Wandlungsphase Holz“ und beschreiben damit diese große Vielzahl von Phänomenen, Ereignissen, Funktionen, denen alle die Qualität des Frühlings innewohnt.

Zur Wandlungsphase Holz zählen das Treiben und Ausschlagen der Pflanzen, das Erwachen der Energien, der Aufbruch, der zarte Anfang. Auch der Wind gehört dazu, der im Frühjahr heftig wehen kann und die jungen Triebe leicht umknicken läßt.Im Körper des Menschen haben die Funktionskreise der Leber und der Gallenblase diese Qualität des Neuanfangs. Das Wort Funktionskreis beschreibt, daß die Organe in der Chinesischen Medizin einen viel größeren Bedeutungsrahmen haben, als die rein physikalische Struktur, wie wir sie aus der westlichen Medizin kennen. Zum Beispiel gehört auch die Emotion der Wut und des Zorns zu diesen beiden Funktionskreisen und zu der Wandlungsphase Holz. Warum das so ist, erkläre ich Ihnen im Folgenden anhand der Physiologie der Funktionskreise von Leber und Gallenblase.

 

Der Funktionskreis der Leber ist dafür zuständig, die Energien, die durch die Verdauung der aufgenommenen Nahrung entstanden sind, im Körper zu verteilen. Er hat die Funktion, die Flüssigkeiten im Körper zu zirkulieren, genauso wie im Frühling die Säfte wieder in den Bäumen und Sträuchern fließen.

Dabei muss er mit dem Funktionskreis der Gallenblase zusammenarbeiten, den man als Ventil sehen kann, das den Lauf der Leberenergie kontrolliert. So wie ein Küken erst die Schale des Eies durchbrechen muss und ein Spross die Hülle des Samens sprengt, so muss die Energie des Funktionskreises Leber das Ventil der Gallenblase durchbrechen.

Wie bei der Eierschale ist es dabei nicht die Aufgabe des Funktionskreises der Gallenblase, die Energie der Leber auf Dauer zurückzuhalten, vielmehr soll sie gehalten und geschützt werden bis sie reif ist, in die Welt zu treten.

 

Im Chinesischen heißt es deshalb von einem Menschen, der seine Kräfte gesammelt hat und nun mit großem Mut voranschreiten kann, dass er eine „große Galle“ hat.

Der Schlüssel der Kraft liegt im harmonischen Zusammenspiel der Funktionskreise Leber und Gallenblase, dem Wachsen der Energien und ihrer gezielten Freisetzung.

Menschen, die ihre Stärke in der Wandlungsphase Holz haben, sind an Abwechslung interessiert, haben Visionen und sind oft im künstlerischen Bereich tätig. Sie haben die Gabe, etwas Neues zu erschaffen.

 

Was passiert, wenn die Wandlungsphase Holz und die Zusammenarbeit der Funktionskreise Leber und Gallenblase durch Krankheit oder äußere Stressfaktoren gestört sind?

Die Chinesische Medizin unterscheidet krankhafte Zustände immer danach, ob es sich um eine Fülle oder eine Leere der Energien handelt. Betrachten wir zuerst die „Fülle“, also eine krankhafte Übersteigerung der Energien in der Wandlungsphase Holz.

 

Wenn der Funktionskreis der Leber in Fülle ist, kommt Unruhe auf. Die vorantreibende Energie ist (zu) stark, die Gedanken sind immer wieder mit Neuem beschäftigt. Wenn die Umwelt da nicht mitspielt, kann schnell Ungeduld entstehen. Wie das junge Grün in der Natur zum Himmel strebt, so steigt auch im Menschen die Energie auf. Das führt leicht zu einem roten Kopf oder zu Kopfschmerzen. Wir sind dann nervös und verlieren etwas den Boden unter den Füßen. Die Energie des Funktionskreises Leber kann sich auch stürmisch erheben wie der Wind im Frühjahr und im Extremfall zu einem Schlaganfall führen.

Sie haben vielleicht schon ein Bild von so einer Person vor Augen. Es könnte ein Managertyp sein, immer am arbeiten, hektisch und ungeduldig. Wenn seine Umwelt da nicht mitzieht wird Ungeduld schnell zur Wut, sein Blutdruck steigt, er bekommt einen roten Kopf und äußert sich lautstark. Wenn er dann Dampf abgelassen hat, meldet sich womöglich noch sein Tinnitus und neuer Ärger ist im Anzug.

 

Wenn der Funktionskreis der Gallenblase zu sehr in Fülle ist, dominiert er die Leberenergie und hindert sie an der freien Entfaltung. Das Ventil öffnet sich nicht zur rechten Zeit. Dann stagniert der freie Fluss der kreativen Energien und auch der Säfteverteilung im Menschen.

Die betroffene Person fühlt sich dann unter Druck, was oft auf den Magen schlägt und die Verdauung behindert. Da die Entfaltung gehemmt ist kann es zu starken Stimmungsschwankungen kommen bis hin zur Depression. Durch den Druck, den der Kampf der Leber gegen die Gallenblase erzeugt, entsteht Hitze im Körper, die zu geröteten Augen und Schwitzen bei gleichzeitig kalten Händen und Füßen führen kann. Hier findet der Kampf mehr im Inneren statt als beim Managertyp, die aufgestauten Energien können sich jedoch auch sehr heftig Luft verschaffen.

Zum Bild würde eine Person passen, die ihre Wut unterdrückt und nicht offen herauslässt. Innen steht sie dafür unter starkem Druck. Sie leidet unter Verspannungen, Verstopfung und neigt ebenfalls zum hohen Blutdruck.

Eine ganz leichte Version dieses Geschehens kennen Sie vielleicht selbst unter dem Namen Prämenstruelles Syndrom. Wenige Tage vor Einsetzen der Regel kommt es zum Wettstreit um das Freigeben der Regelblutung im Körper der Frau. Die Folge sind Stimmungsschwankungen und Spannungen im Körper, speziell in den Brüsten.

 

Alkohol wirkt aus Sicht der chinesischen Medizin entspannend auf den Funktionskreis der Galle. Darum trinken Personen mit Problemen in der Wandlungsphase Holz auch gerne mal ein Gläschen, um sich dann endlich alles „von der Leber reden“ können. Leider schwächt Alkohol auf Dauer den Funktionskreis der Leber und führt zu Hitze im Körper. Dies kann die aufsteigenden Emotionen noch verstärken und auf lange Sicht zu verschiedenen ernsten Leerezuständen führen.

Weitere Ausführungen hierzu können Sie im nächsten Teil dieses Artikels lesen, darin geht es um die Erschöpfung der Energien und die Leere des Blutes.

 

Der erste Schritt zur Besserung ist natürlich immer das Verständnis für die Abläufe. Ich kann mit meiner Wut - und auch mit der der anderen - besser umgehen, wenn mir ihre Entstehung erklärbar ist.

Der zweite Schritt ist es, sich Hilfe von Außen zu holen. Dafür bietet die Chinesische Medizin verschiedene Therapiemethoden an.

 

Mit Akupunkturwirke ich gezielt auf die einzelnen Funktionskreise ein und „erinnere“ sie wieder an ihre gesunde Funktionsweise. Mit Akupunkturpunkten wie Le 3 Tai Chong unterstütze ich den Funktionskreis der Leber in seinem harmonischen Wirken, und mit Punkten wie Di 4 He Gu fördere ich die Entspannung.

Ist es bereits zu Leerezuständen gekommen, setze ich ggfs. Chinesische Kräuter ein.

Meine Behandlungsidee ist immer, den Körper dabei zu unterstützen, seine natürliche Funktionsweise wieder zu entdecken. Was nützt es, einmal den Deckel des Kochtopfs anzuheben und Dampf abzulassen? Wir müssen selbst wieder die Regelung des Feuers unter unserem Kochtopf übernehmen, um in eine gesunde Balance zu kommen. Dabei bietet die Chinesische Medizin wertvolle Hilfe.

 

Torsten Ziegler, Heilpraktiker